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Ein Winzling hebt die Welt aus den Angeln

Ein Winzling ist dabei, die Welt aus den Angeln zu heben. Gerade mal 0,1 Millionstelmeter klein und damit vieltausendfach kleiner noch als der berühmte Sand im Getriebe, bringt er alle und alles ins Stottern.

Das ist nicht neu. Schon immer gab es Epidemien von apokalyptischen Ausmaßen. 1916 schreibt Gerhard Hauptmann in seiner Winterballade: „Wir hatten Krieg und Teuerung und Pestilenz.“ Neu aber ist das globale Ausmaß, die globale Verunsicherung, die globale Erschütterung.

Dabei hatten wir doch so tapfer geglaubt, wir hätten alles im Griff. Als wäre ein ewiges Leben auf der Erde nur noch einen Wimpernschlag entfernt. Wohlstand und Gesundheit für alle für immer.

Und nun kommt dieser kleine Zwerg mit dem Namen eines Star-Wars-Roboters - Covid-19 - und zeigt uns erbarmungslos unsere Grenzen auf. Und wir spüren und erfahren neu, dass wir sterblich sind. Wir und alle unsere Pläne und Projekte.

Andere, scheinbar mächtigere Gesellen hatten das schon vorher versucht. Das Ozonloch, das Waldsterben, die Klimakrise. Doch so recht erschüttern konnten sie nur wenige von uns. Solange in den Urlaub geflogen und Fußball gespielt wurde, solange sich die Regale in den Supermärkten bogen, solange die Aktienkurse stiegen, solange konnte es ja so schlimm nicht sein. Und der Kölner in uns allen feierte fröhliche Urständ: „Es hett noch immer gut jejonge.“

Doch auf einmal geht es anscheinend nicht mehr gut.

Ich fühle mich in diesen Wochen immer häufiger an den biblischen Turmbau zu Babel erinnert. Lange her, ja. Aber vielleicht doch ein zeitloses Bild für die Menschheitsgeschichte schlechthin. Sie hatten sich einen Namen machen wollen, die Menschen damals. Sie hatten zeigen wollen, wie kreativ und innovativ sie waren und dass sie das erdenschwere Menschsein früher oder später hinter sich lassen würden um Gott gleich sein. Bis - ach, die Bibel schildert das geradezu genüsslich - bis der große Gott im Himmel mal nachschauen kam, was seine Geschöpfe da unten so scheinbar Wichtiges trieben und den Turm mit einem Fingerschnips zerstörte.

Sind wir Babel?

Menschen dürfen vieles, aber sie dürfen niemals vergessen, dass sie Menschen sind, dass sie ihre pure Existenz samt aller Kreativität dem genialen Kreator im Himmel verdanken. Wer sein will wie Gott, erklärt den Kriegsfall. Menschen dürfen forschen und sie sollen es, ganz klar. Sie dürfen und sie sollen sich die Erde untertan machen, ja. Aber sie sind immer Auftragnehmer und nicht Auftraggeber. Immer hat zu gelten, was der Patriarch Josef einst seinen Brüdern gesagt hat: „Ich stehe unter Gott.“

Vielleicht ruft uns das Virus dieser Tage zur Besinnung. Damit wir Menschen neu die Platzanweisung akzeptieren, die uns der Schöpfer zugedacht hat. Uns weiterhin an dem gewaltigen Potenzial erfreuen, das er in jeden von uns gelegt hat. Aber eben auch unsere Grenzen akzeptieren. Die Welt nicht länger an seiner Stelle verwalten und gestalten sondern in seinem Auftrag und zusammen mit ihm. Denn was die Welt braucht und was ihr gut tut, wie Leben und Zusammenleben gelingen kann, weiß niemand besser als er. Forschen und Entwickeln und Beten sind darum keine Gegensätze.

Dabei geht es ja nicht nur um unsere Beziehung zu ihm, zum guten Gott, sondern auch um die Beziehungen untereinander. Die deutsche Bundeskanzlerin sagte im März, die Coronavirus-Krise stelle unsere Solidarität und unser Herz füreinander auf die Probe. Heißt: Es zeigt sich jetzt, ob wir bereit sind Rücksicht zu nehmen aufeinander, gerade auch auf die älteren und schwächeren, nicht nur an den eigenen Vorteil zu denken und dafür zu sorgen, dass die eigene Tiefkühltruhe krisensicher gefüllt ist, sondern auch an die anderen zu denken und für sie zu sorgen.

Aber das geht wohl nicht, ohne dass sich möglichst viele neu einordnen ins Gemeinwesen und sich unterordnen unter den guten Lebenswillen Gottes. Was das konkret bedeutet, fasst Jesus im Matthäusevangelium so zusammen: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

Jürgen Werth (für die Zeitschrift Aufatmen)

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