Freut euch mit mir!"
Ich höre ihn singen. Ich sehe ihn tanzen. Vielleicht steht er mitten im Tempel. Sein Gesang ist lauter als das Blöken der Schafe, die er mitgebracht hat. Er will ein Opfer bringen. Ein Brandopfer. Das hat er Gott versprochen, als es ihm so richtig schlecht ging. „Du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten“, singt er, jubelt er.
Ich stelle mir den Tempelplatz zur Zeit des Alten Testaments so ähnlich vor wie den Platz vor der Westmauer, vor der Klagemauer, heute. An manchen Tagen ist da richtig was los. Da wird wild durcheinander geredet, gebetet, gesungen. Und manch einer hat eine besondere Botschaft auf dem Herzen, die er hier unbedingt loswerden muss.
Alles ist so ganz anders als bei uns. In unseren Kirchen werden Touristen zum Schweigen gemahnt. Still und andächtig hat es hier zuzugehen. Was ich ausgesprochen angenehm finde, wenn ich in einer der Bänke in einer Zwiesprache mit meinem Gott versunken bin.
Plätze für eine solche stille Zwiesprache mit Gott findet man im heutigen Israel nur selten. Man hat sie auch damals kaum gefunden. Glaube war und ist dort nie Privatsache.
Ich sehe ihn also dort stehen auf dem Tempelplatz. Und ich höre ihn singen und rufen: „Du hast meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten.“ Und dann erzählt er. Allerdings keine Einzelheiten. Zumindest haben sie keinen Niederschlag in dem Psalm gefunden, der sein Gebet enthält. Psalm 116 ist das. Und der Vers, den ich eben zitiert habe, ist Vers 8, die Losung für heute.
Gott angefleht hat er in einer komplizierten Notlage. Möglicherweise war er schwer krank, vielleicht haben die anderen auch finstere Geschichten über ihn verbreitet. Aber während des Flehens hat er Gott schon gepriesen. Er wusste ja, dass gelogen war, was über ihn erzählt wurde. Und er konnte darauf hoffen, dass Gott eingreifen würde.
Der Psalm endet mit eindrucksvollen Versen: „Dir will ich Dank opfern und des Herrn Namen anrufen. Ich will meine Gelübde dem Herrn erfüllen vor alle seinem Volk in den Vorhöfen am Hause des Herrn, in dir, Jerusalem. Halleluja!“
Ein lautes, jubelndes Dankgebet. In aller Öffentlichkeit. Nicht nur im stillen Kämmerlein.
Wenn wir nun heute einfach mal die Erfahrungen der letzten Wochen und Monate Revue passieren lassen – wann und wo haben wir Gottes Hilfe besonders handgreiflich erfahren? Wann und wo haben wir in der Ausweglosigkeit plötzlich einen neuen Weg gesehen? Wann und wo haben wir Gottes Freundlichkeit, seine Großzügigkeit besonders konkret erlebt? Haben wir davon gesprochen? Haben wir es anderen erzählt? Klar, es gibt Erfahrungen, die behält man besser für sich. Aber andere müssen unter die Leute, müssen zumindest in die Gemeinde. Damit andere neuen Mut gewinnen. Damit andere neue Hoffnung bekommen. Denn der Gott, dessen Hilfe wir so hautnah erfahren haben, kann und will ja auch anderen helfen. Wenn wir einander erzählen, was wir mit Gott erlebt haben, dann bringt uns das miteinander ein ganzes Stück weiter auf dem Weg mit ihm und zu ihm.
Natürlich sollten wir solche Erfahrungen demütig erzählen. Vielleicht auch ein bisschen keusch. Wir sollten aufpassen, wo sich frommes Gehabe und Angeberei in unsere Erzählungen mischen. Es geht ja nicht um uns. Es geht um den großen Gott. Um den großen und nahen Gott. Um den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Und wenn wir es nicht erzählen mögen, dann können wir es aufschreiben. Auf einer Karte. In einem Brief. Und diesen Brief an einen Menschen schicken, der gerade verzagt ist. „Komm her, hör zu, ich will erzählen, was Gott an mir getan hat . Er hat meine Seele vom Tode errettet, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten. Und ich will mit dir dafür beten, dass er für dich etwas Ähnliches tut.“