Danke für meine Geschichte
Für das Ideenheft zum »Jahr der Dankbarkeit«
Die eigene Geschichte annehmen? Dankbar annehmen? Eigentlich habe ich ja schon mit mir genug zu tun.
Aber ich bin eben nicht nur mein Gesicht und meine Statur und meine Seelenlage. Ich bin auch mein Weg, meine Geschichte.
Die würde ich zuweilen gern redigieren und korrigieren. Würde herausstreichen, was mich verletzt hat und hineinschreiben, was mir gut getan hätte. Aber diese Geschichte ist Geschichte. Und sie ist einzigartig.
Mein Vater hat viele Jahre lang getrunken. Und damit einen Teil meiner Kindheit und Jugendzeit zerschossen. Oft gab es Streit zu Hause, deftige Kräche und manchmal auch handfeste Auseinandersetzungen. Und immer häufiger fühlte ich mich verpflichtet, einzugreifen und zu schlichten. Ich hatte ein kleines Zimmer unter dem Dach direkt über der Wohnung meiner Eltern. Ich sehe mich heute noch an der Tür stehen, ganz Ohr und ganz Herzklopfen: Ist alles ruhig? Muss ich runter gehen oder kann ich mich beruhigt ins Bett legen?
Das ging so viele Jahre. Bis meine Eltern – beide – zum Glauben an Jesus fanden. Und ihre tiefe Sehnsucht nach Leben gestillt wurde. Nach Leben und Liebe und Angenommensein. Eine Woche vor meiner Hochzeit wurden sie in eine christliche Gemeinde aufgenommen. Das hatte ich mir mehr als alles andere gewünscht!
Alle gingen wie auf Wolken. Was wir nicht ahnten: Die Alkoholsucht war damit noch lange nicht bewältigt. Tatsächlich hat sie uns noch ganze acht Jahre weiter in Atem gehalten. Himmel und Hölle in der Nussschale eines Lebens. Am Ende aber, ganz am Ende kam mein Vater mit seinem Leben zurecht, wurde er frei von der Alkoholsucht, konnte er in Frieden sterben. Nein, nicht einfach nur „sterben“ - er konnte wirklich „heim gehen". Gerade mal 52 war er da.
Seine Geschichte ist Teil meiner Geschichte. Eine Geschichte der Irrungen und Wirrungen, der Sehnsüchte und der enttäuschten Hoffnungen - vor allem aber ist sie eine Geschichte der Barmherzigkeit Gottes. Ich habe seine unendliche Geduld kennen gelernt und hautnah erfahren, dass er tatsächlich auf krummen Linien gerade schreibt, dass seine Liebe immer größer ist als unser Versagen und dass er am Ende ans Ziel kommt mit uns. Oft habe ich ihn verzweifelt wütend angeklagt, weil er so scheinbar gar nicht eingegriffen hat. Am Ende aber habe ich gestaunt über seine unendliche Freundlichkeit.
Meine Geschichte hat mich geformt und geprägt. Sie hat mich verwundet und verwundbar gemacht. Sie hat mich aber auch früh erwachsen werden lassen. Hat aus mir einen Versöhner gemacht, einen Brückenbauer. Ich bin durch sie zu einem Menschen geworden, der sich übergangslos in die Schuhe eines anderen Menschen stellen kann. Schließlich habe ich jeden Tag erlebt, wie mein Vater gekämpft und gelitten, wie er gefallen und immer wieder aufgestanden ist. Ich habe mit ihm gelitten und gekämpft. Bin mit ihm gefallen und aufgestanden.
Ich bin meine Geschichte. Meine Geschichte ist ich. Einmalig und einzigartig. Ich will sie annehmen, dankbar annehmen. Immer wieder. Sie ist ein maßgeschneiderter Anzug aus himmlischen Meisterwerkstätten.